Astor Piazzolla – Der „König des Tangos“

Portrait
Piazzolla Titelcollage

Astor Piazzolla interpretierte und revolutionierte mit seinem Tango Nuevo eine neue Art des klassischen Tangos. Dies kam nicht immer gut an. Anhänger des „echten Tangos“ verfluchten Piazzolla für seine Werke. Dabei wollte er doch einfach nur „anderen Tango machen“. 100 Jahre nach seiner Geburt, wird Piazzolla zum Glück nicht mehr verflucht, sondern als „König des Tangos“ verehrt. Im Portrait blicken wir zurück auf das Leben des Astor Piazzolla, auf seine Werke und seine Musik.

Kindheit und Jugend

Astor Pantaleón Piazzolla wird am 11. März 1921 in der argentinischen Küstenstadt Mar del Plata geboren. Er ist das einzige Kind seiner italienischen Eltern Vicente „Nonino“ Piazzolla und Assunta Mainetti. Als Astor 4 Jahre alt ist, ziehen seine Eltern aufgrund der damaligen schlechten Wirtschaftslage in Argentinien mit ihm nach New York. Früh zeigt sich, dass der junge Piazzolla musikalisch sehr begabt ist. Er lernt Klavier und – seinem Vater zu liebe – Bandoneon. Denn Astors Vater ist ein sehr großer Tango-Fan. Er besitzt an die sechzig Schallplatten, welche er aus Argentinien mit nach New York gebracht hat. Wenn es nach Astors Vater ginge, würde Astor ebenfalls ein großer Tango-Fan werden und sogar selbst Tango spielen. Doch Astor kann dieser Musik nichts abgewinnen. In New York spielen und hören die Leute klassische Musik, Bach und Jazz. DAS begeistert ihn.

Als Astor 16 Jahre alt ist, kehrt seine Familie mit ihm nach Buenos Aires zurück. Dort erlebt der Teenager eine Tango-Aufführung, die sein weiteres Leben prägen wird: Eine neuartige Tango-Aufführung des italienischen Komponisten Elvino Vardaro begeistert ihn so sehr, dass er seinem Bandoneon fortan mehr Aufmerksamkeit schenkt. Er übt und perfektioniert das Muszieren am Handzuginstrument und wird sogar Mitglied in einem der wichtigsten Tango-Orchester, dem Aníbal Troilo. Einige Jahre später, 1940, entschließt sich Astor dazu, Kompositionsunterricht bei dem argentinischen Komponisten Alberto Ginastera zu nehmen. Im Alter von 23 Jahren verlässt Piazzolla das berühmte Orchester von Troilo, um fortan als Solist und Arrangeur im Orchester des Sängers Francisco Fiorentino zu arbeiten.

Anfänge seiner Karriere und Weggefährten

Nach 2 Jahren verlässt der junge Mann auch dieses Orchester, um sein erstes eigenes Tangoorchester zu gründen. Er komponiert außerdem seinen ersten eigenen Tango, den El Desbande (1946) und veröffentlicht erste Schallplatten. Der Tango klingt zu diesem Zeitpunkt noch sehr klassisch und traditionell, dies wird sich in den nächsten Jahren jedoch ändern …

1949 löst sich das von Piazzolla gegründete Tango-Ensemble wieder auf. Da der Tango in Argentinien zu diesem Zeitpunkt einen sehr schlechten Ruf hat, distanziert sich Piazzolla nun in der Öffentlichkeit von klassischen Tango-Werken und komponiert lieber Orchester- und Kammermusiken. So entstehen in den Anfängen der 50er Jahre:

  • Rapsodía porteña (1952)
  • Sinfonia Buenos Aires (1953)
  • Sinfonietta (1954) –> Zur Partitur

Für die Sinfonietta wird Piazzolla mit dem nationalen Kritikerpreis geehrt, außerdem erhält er ein Stipendium für Europa. Dies öffnet ihm die Türen nach Paris, wo er bei der französischen Komponistin Nadia Boulanger Komposition studiert. Boulanger gilt als eine der wichtigsten musikpädagogischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Dies liegt sicherlich auch an der Art, wie sie ihre Kommilitonen unterrichtet, denn der Pädagogin ist es überaus wichtig, dass sich ihre Studenten selbst in der Musik ausdrücken. 1981 sagt sie:

„Als Pädagogin besteht mein ganzes Leben darin, andere zu verstehen und nicht, andere dazu zu bringen, mich zu verstehen. Was ein Student denkt, was er tun will – das ist wichtig. Ich muss versuchen, ihn dazu zu bringen, sich selbst auszudrücken, ihn darauf vorzubereiten, das zu tun, was er am besten kann.“

Und dies setzt sie auch bei Piazzolla in die Tat um! Denn anfänglich verschweigt er ihr, in der Vergangenheit bereits Tangos gespielt und komponiert zu haben. Da der Tango so verhöhnt in seiner Heimat ist, schämt er sich davor und möchte es am liebsten verheimlichen. Beim Durchsehen Piazzollas Partituren fallen der Pädagogin viele Einflüsse von Ravel, Strawinsky, Bartók und Hindemith auf, doch sie vermisst eine individuelle Handschrift. So fordert sie ihn auf, einen Tango auf dem Klavier zu spielen. Sofort erkennt sie sein Talent und rät ihm, die klassische Musik zu vergessen und sich auf Tango zu konzentrieren. Zum Glück nimmt er diesen Ratschlag an! Er konzentriert sich fortan wieder auf Tango-Musik und belegt sogar Dirigierkurse bei dem deutschen Dirigierten Herrmann Scherchen.

Der Tango Nuevo und Piazzollas Werk

1955 entschließt sich Piazzolla dazu, wieder nach Argentinien zurück zu kehren. Dort gründet er das Ensemble „Octeto Buenos Aires“.  Es besteht aus zwei Bandoneons, zwei Violinen, einem Bass, Cello, Klavier und einer elektrischen Gitarre. 1960 wird ein weiteres Quintett aus Violine, Gitarre, Klavier, Bass und Bandoneon von Piazzolla gegründet. Die Musik seiner Ensembles ist ganz neu und hebt sich stark von bisherigen (vertrauten) Tango-Melodien ab. Der klassische Tango wird mit Rhythmen, Harmonien und Tempi absolut neu interpretiert, der Tango Nuevo ist geboren!

Leider erhält Piazzolla anfangs große Ablehnung und Kritik für seine Werke. Liebhaber des „echten“ Tango Argentino können (oder wollen) nicht verstehen, wie jemand den Tango so stark verändern konnte. Manche Anhänger werfen ihm sogar Verrat am argentinischen National-Genre vor. Die Anfeindungen sind zwischenzeitlich sogar so stark, dass Piazzolla und seine Familie kaum noch auf die Straße gehen können. Piazzolla aber lässt sich nicht unterkriegen. Er arbeitet weiter am Tango Nuevo und konzentriert sich auf seine Musik. So entstehen in all den Jahren über 300 Tangos, an die 50 Filmmusiken und knapp 40 Schallplatten.

Den Höhepunkt seiner Karriere erreicht Piazzolla 1974 in Zusammenarbeit mit Gerry Mulligan in Mailand. Gemeinsam entsteht das Projekt Summit, ein Album, das eigentlich mehr in Richtung Jazz als in Tango geht. (In Europa erscheint das Album unter dem Namen Tango Nuevo.)

Weitere herausragende Werke

1959: Adiós Nonino

Komposition zu Ehren seines verstorbenen Vaters.

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1965-70: Estaciones Porteñas

Vorbild für diese vier Kompositionen für Violine, Klavier, Gitarre, Kontrabass and Bandoneon sind Antionio Vivaldis Vier Jahreszeiten: Verano Porteño, Otoño Porteño, Primavera Porteña und Invierno Porteño beschreiben jeweils eine Jahreszeit in Buenos Aires.

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1984: Libertango

Mit diesem Tango hat Piazzolla den Übergang vom klassischen Tango zum Tango Nuevo eindrucksvoll markiert.

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Covercollage Libertango

1984: Oblivion

Diesen berühmte Tango komponierte Piazzolla ursprünglich als Filmmusik für das italienische Drama Henry IV.

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Covercollage Oblivion

1986: Histoire du Tango

Cover Histoire du tangoEine Suite nach barockem Vorbild mit vier programmatischen Einzelsätzen als Zeitreise durch die Geschichte des Tangos: Bordel 1900, Café 1930, Night Club 1960 und Concert d’aujourd’hui („Heutiges Konzert“).

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Die Musik von  Astor Piazzolla

Piazzolla war fest entschlossen, den klassischen Tango weiter zu entwickeln. Die Essenz des Tangos behielt er bei, er erweiterte diese jedoch mit Einflüssen aus Jazz und Klassik – seiner Lieblingsmusik als Jugendlicher in New York. So arbeitete er oft mit Jazzmusikern zusammen und setzte moderne Instrumente, wie Schlagzeug und E-Bass, in seine Kompositionen ein. Heute erkennen Tango-Liebhaber die Musiken von Piazzolla aus Hunderten. Er hat seine ganz eigene Handschrift und einen unverwechselbaren Sound entwickelt.

Am 04. Juli 1992 stirbt Astor Piazzolla im Alter von 71 Jahren in Bueno Aires. In seiner „Ballade für meinen Tod“ – Balada para mi muertehatte der Komponist sogar einst vorausgesagt, dass er bei Morgengrauen in Buenos Aires sterben würde. Piazzolla hat den Tango gesellschaftsfähig gemacht. Ihm ist zu verdanken, dass es der Tango als ehemals anrüchige Musik in internationale Konzertsäle geschafft hat. Ganz zurecht nennt man ihn den „König des Tangos“.

Piazzolla Noten zum Nachspielen

In unserem Notenshop befindet sich eine große Auswahl an Ausgaben der unverwechselbaren Musik von Astor Piazzolla zum Nachspielen!

 


Bildnachweis:
Titelcollage: Bild links via wikimedia; Cover rechts: alle-noten.de
Covercollagen: alle-noten.de