Zwischen Wölbungshobel und Ziehklinge: Besuch bei der Geigenbauerin

In der Geigenbauwerkstatt

Ein Raum im Souterrain eines Münchener Altbaus: Die Regale reichen bis zur Decke. Auf den Holzbrettern reihen sich Kisten voller Werkzeuge, die klangvolle Namen tragen: Wirbelreibahlen, Wölbungshobel, Stecheisen. An der langgestreckten Werkbank sitzt hochkonzentriert eine Frau mit mittellangem, blondem Haar. Eine verstellbare Lampe erhellt die Arbeitsfläche, die mit einem weichen Tuch abgedeckt ist. Griffbereit liegen verschiedene Hobel, Schnitzer und Feilen, daneben der noch unfertige Holzkorpus einer Violine. Marion Michael ist bei der Arbeit: Sie bezieht gerade den Bogen einer Geige.

Viele Stunden am Tag verbringt Marion Michael in ihrer Geigenbauwerkstatt.

Viele Stunden am Tag verbringt Marion Michael in ihrer Geigenbauwerkstatt.

Traditionsbetrieb im Herzen Münchens

Die Liebe zum Handwerk sei ihr in die Wiege gelegt worden, erklärt die Geigenbauerin, die ihrem Vater, dem Geigenbaumeister Winfried Michael, in die beruflichen Fußstapfen gefolgt ist. „Als junges Mädchen wollte ich zuerst meinen eigenen Weg gehen und habe eine Lehre als Maschinenschlosserin gemacht.“ Später entschied sie sich dann doch für eine Ausbildung als Geigenbauerin, wobei ihr die Kenntnisse aus ihrer Schlosserlehre zugutekamen: Das genaue, gewissenhafte Arbeiten mit Werkzeugen verschiedener Art macht auch das Handwerk eines Instrumentenbauers aus.

Heute, neun Jahre nach ihrer Meisterprüfung, führt Marion Michael das Geschäft ihres Vaters weiter: Mitten in München, in der Hildegardstraße unweit des Isartors, befinden sich die Werkstatt und das Ladengeschäft in einem denkmalgeschützten Haus. Doch nicht nur die zentrale Lage ist von Vorteil: Die Gewölbe des alten Gebäudes eignen sich gerade durch die höhere Luftfeuchtigkeit im Winter besonders gut für die Lagerung kostbarer Hölzer. Und diese sind für den Bau einer einzigartigen Geige essentiell.

Ihre Streichinstrumente baut die Geigenbaumeisterin aus edlen Hölzern, die sorgfältig gelagert wurden.

Ihre Streichinstrumente baut die Geigenbaumeisterin aus edlen Hölzern, die sorgfältig gelagert wurden.

Das richtige Holz

Das passende Holz für den Geigenbau zu finden ist eine Wissenschaft für sich. Marion Michael bezieht die Hölzer, die sie für den Instrumentenbau benötigt, von einem Tonholzhändler, der genau weiß, wo die geeigneten Hölzer wachsen und wie diese abgelagert werden müssen.

„Wir Geigenbauer benötigen hartes, festes Holz, wie etwa das des Bergahorn“, erzählt die Münchner Geigenbauerin. In den Bergen wächst der Ahorn aufgrund der Witterungsverhältnisse langsamer als in anderen Regionen, wodurch das Holz seine besondere Festigkeit und Härte bekommt. „Bevor mit dem Holz gearbeitet werden kann, muss es luftgetrocknet werden. In der Regel lässt man es zwischen zehn und fünfzehn Jahren ablagern.“

Großteils verwenden Geigenbauer die gleichen Holzarten:

  • Bergahorn für Boden, Zarge und Schnecke
  • Fichte für die Decke
  • Ebenholz für Griffbrett, Wirbel und Saitenhalter
Aufbau einer Geige

Aufbau einer Geige

200 Stunden für eine Geige: Einblicke in den Werkstatt-Alltag

Den größten Teil ihrer Arbeitstage verbringt Marion Michael in ihrer Werkstatt mit Hölzern und Saiten, Ziehklinge, Sägen und Hobeln. Hier repariert und restauriert sie alte Streichinstrumente oder baut neue.

Das A und O: Gründlichkeit und Liebe zum Detail
Dabei kommt es auf kleinste Details an. Für ihre Arbeit ist die gut verstellbare Lampe an der Werkbank daher unverzichtbar: „So kann ich beim Neubau zum Beispiel die kleinen Schatten an der Holzoberfläche sehen oder kleine Unebenheiten, die ich noch mit der Ziehklinge entfernen möchte“. Auch für das Setzen des Stimmstocks, der den Klang beeinflusst, benötigt die Geigenbauerin eine gute Beleuchtung, um in das Innere eines Instruments sehen zu können.

Zwischen 150 und 200 Arbeitsstunden mit unzähligen Arbeitsschritten stecken in einer neuen Violine oder einem neuen Cello, abhängig unter anderem von der Härte des Holzes oder davon, wie viel Lack aufgetragen wird.

Wie eine neue Geige entsteht
Wie entsteht eigentlich eine neue Geige? Es ist gar nicht so einfach, die einzelnen Arbeitsschritte pauschal aufzuzählen. Zum einen „ist jeder Arbeitsschritt, und sei er noch so klein, unglaublich wichtig und beeinflusst die folgenden Schritte“, so Marion Michael. Zum anderen geht jeder Geigenbauer anders vor. „Ich habe mir zum Beispiel angewöhnt, mit dem Zargenkranz anzufangen. Dann kommt der Boden und beides wird zusammengeleimt. Oft entsteht aber nebenbei auch schon die Decke“, erklärt die Münchnerin.

Der Korpus einer Geige entsteht.

Der Korpus einer Geige entsteht.

Grundsätzlich entsteht eine Geige folgendermaßen:

Zuerst stellt der Geigenbauer mithilfe von Schablonen die einzelnen Bestandteile des Korpus her, das heißt Boden, Decke und Zargenkranz. Danach werden Hals und Griffbrett angebracht und der Lack aufgetragen. Zuletzt geht es daran, den Steg zu schneiden, die Saiten aufzuziehen und den Kinnhalter zu montieren.

Die wichtigsten Schritte im Detail:

1. Herstellung des Zargenkranzes
Die Zargen stellen dabei eine Besonderheit dar: Sie sind plane Holzstreifen, die zunächst auf eine Stärke von rund einem Millimeter gehobelt und anschließend am erhitzten Biegeeisen gebogen werden. Die Zargen sind damit der einzige Bestandteil einer Geige, der gebogen wird.

Mithilfe des sogenannten Formbretts wird schließlich der Zargenkranz fertiggestellt: Die Zargen werden um das Formbrett gebogen und an die darin angebrachten Klötze geleimt. Durch die Verleimung ist der Zargenkranz stabil genug, um aus dem Formbrett genommen zu werden.

Das folgende Video zeigt die Entstehung eines Zargenkranzes im Detail:

2. Herstellung von Decke und Boden
Decke und Boden der Geige werden auch als Resonanzplatten bezeichnet. Ihre Herstellung verläuft zunächst gleich:

Für die Herstellung einer Resonanzplatte verwendet der Geigenbauer zwei Holzscheite, die im sogenannten Radialschnitt quasi wie Tortenstücke aus dem Baumstamm geschnitten wurden. Sie werden an den hohen Seiten aneinander geleimt.

Nun kann die Form des Zargenkranzes auf das Brett übertragen und dieses entsprechend zugesägt werden.

In mehreren Schritten entsteht die Wölbung an der Außenseite, während die Innenseite ausgehöhlt wird. Nach und nach erreichen die Resonanzplatten die richtige Stärke.

Decke und Boden der Geige entstehen weitgehend auf dieselbe Weise.

Decke und Boden der Geige entstehen weitgehend auf dieselbe Weise.

Nun geht es daran, die F-Löcher in die Decke zu schneiden und den Bassbalken an die Innenseite der Decke zu leimen.

An der Innenseite der Geigendecke befindet sich längs des Saitenverlaufs eine Holzleiste, der Bassbalken.

An der Innenseite der Geigendecke befindet sich längs des Saitenverlaufs eine Holzleiste, der Bassbalken.

3. Das Zusammensetzen des Korpus
Sobald der Geigenbauer Zargenkranz und Resonanzplatten fertiggestellt hat, setzt er sie zusammen. Als Klebemittel verwendet er Knochenleim, der sich später im Falle einer Reparatur problemlos lösen lässt.

Sind Zargenkranz, Decke und Boden miteinander verleimt, ist der Korpus der Geige fertig.

Sind Zargenkranz, Decke und Boden miteinander verleimt, ist der Korpus der Geige fertig.

Nach der Fertigstellung des Korpus wird die sogenannte Schnecke gestochen und der Wirbelkasten fertiggestellt. Anschließend wird das Griffbrett auf den Hals gepasst und dieser im richtigen Winkel auf den Korpus gesetzt werden.

Die Schnecke ist der charakteristische Abschluss des Geigenhalses.

Die Schnecke ist der charakteristische Abschluss des Geigenhalses.

4. Lack auftragen
Ein nicht zu unterschätzender Schritt ist das Auftragen des Lacks. Er dient nicht nur der Optik, sondern hat auch die Funktion, das Holz zu schützen und die Klangfähigkeit des Instruments zu erhöhen.

Das Lackieren sorgt für Langlebigkeit und guten Klang des hölzernen Instruments.

Das Lackieren sorgt für Langlebigkeit und guten Klang des hölzernen Instruments.

Mit einer Lack-Schicht ist es aber nicht getan: Die Oberfläche des Holzes muss immer wieder abgeschliffen und neu lackiert werden, bis alle Unebenheiten beseitigt sind. Als Schleifmaterial verwendet der Geigenbauer ein spezielles, sehr feines Schleifleinen.

5. Wirbel und Stimmstock
Ist die Geige fertig lackiert und getrocknet, muss der Geigenbauer noch die Wirbel einpassen und den Stimmstock durch das F-Loch ins Innere der Geige montieren.

Mithilfe der Wirbel kann die Geige später gestimmt werden.

Mithilfe der Wirbel kann die Geige später gestimmt werden.

6. Steg, Saiten und Kinnhalter
Im letzten Schritt schnitzt der Geigenbauer den Steg, an dem anschließend die Saiten aufgezogen werden. Ist dann auch der Kinnhalter montiert, ist die Geige spielbereit.

Über den Steg werden die Saiten gespannt.

Über den Steg werden die Saiten gespannt.

Überlieferte Handwerkskunst
Viele ihrer Kenntnisse verdankt Marion Michael ihrem Vater Winfried. „Mein Vater hat in den vielen Jahren, in denen er diesen Beruf ausgeübt hat, Erfahrungen mit den Hölzern, Lacken und der Klangbildung gemacht und an mich weitergegeben. In den fast zwanzig Jahren, die ich hier arbeite, sind viele weitere Erfahrungen und Feinheiten dazugekommen.“

Beispielsweise stellt sie den Lack nach einem eigenen Rezept her: „Ich verwende das Rezept, das mein Vater entwickelt hat. Als Basis nehme ich Spiritus, andere Geigenbauer verwenden dagegen Öllacke.“

Hohe Konzentrationsfähigkeit und Perfektionismus gehören unbedingt zum Geigenbauer-Handwerk.

Hohe Konzentrationsfähigkeit und Perfektionismus gehören unbedingt zum Geigenbauer-Handwerk.

„Tolle Kunden“: Beratung ist Herzenssache

In den Ladenräumen betreut Marion Michael auch ihre Kunden. „Menschen, die Streichinstrumente spielen oder spielen wollen, sind tolle Kunden“, schwärmt sie. „Es macht Spaß, die Person im Gespräch kennen zu lernen, um dann eine passende Auswahl an Instrumenten zusammenzustellen.“ Als Expertin weiß sie genau: „So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Klangbilder der Instrumente.“

Wie Spieler und Instrument zusammenfinden

Um herauszufinden, ob Spieler und Instrument zusammenpassen, ist vor allem das Probespiel wichtig. Dazu gibt es für die Kunden von „Geigenbau Michael“ ein eigenes Musikzimmer: An den Wänden stehen offene Regale für Instrumentenkoffer und hohe Vitrinen aus dunklem Holz, durch deren Glastüren die zahlreichen Violinen an ihren Aufhängungen zu sehen sind. Ein alter Holztisch mit gedrechselten Beinen dient als Ablage für die Instrumente, der Boden ist mit schweren Teppichen ausgelegt. In diesem Ambiente können die Kunden die Instrumente entspannt ausprobieren und herausfinden, auf welchem sie am besten spielen können.

„Ob Violine, Viola oder Cello: jedes Instrument findet den passenden Menschen – oder andersherum. Das kommt immer ganz auf den Blickwinkel oder die Betrachtungsweise an“, findet Marion Michael.

Ein Ort voller Atmosphäre: In ihrem Laden stellt Marion Michael die hochwertigen, handgefertigten Streichinstrumente aus.

Ein Ort voller Atmosphäre: In ihrem Laden stellt Marion Michael die hochwertigen, handgefertigten Streichinstrumente aus.

Geigenbau: Ein Handwerk ohne Zukunft?

Das Handwerk des Instrumentenbauers hat den Ruf, wenig einträglich zu sein. Zudem macht die Konkurrenz aus Asien, wo Instrumente industriell gefertigt werden, den hiesigen traditionellen Instrumentenbauern das Auskommen schwerer.

Doch Marion Michael will nicht gelten lassen, dass die Situation für sie und ihre Berufskollegen angespannt sei. „Ob man es in dem Beruf, den man ausübt, leicht oder schwer hat, hängt nicht vom Beruf, sondern von der inneren Einstellung zur Arbeit ab“, findet sie. Gerade ihr als Geigenbauerin ist es wichtig, ihren Beruf wirklich zu leben. Gute, ehrliche Arbeiten machen sich ihrer Meinung nach ebenso bezahlt wie die Offenheit für Neues bei gleichzeitiger Bewahrung des Althergebrachten. Es gehöre unbedingt dazu, „den traditionellen Geigenbau, der sich seit Jahrhunderten durchgesetzt hat, mit Respekt zu studieren und weiterzuführen“.

Dass Marion Michael all dies gelungen ist, beweisen ihre zufriedenen Kunden. Diese schätzen die hohe Qualität und den besonderen Klang der handgefertigten Violinen, Violas und Cellos. Bis in die USA und nach Kanada hat sie schon Instrumente verkauft.

Mehr über Marion Michael und ihren Familienbetrieb erfahren Sie auf der Website von Geigenbau Michael.

Wissenswertes rund um den Geigenbau-Beruf
Weitere Informationen rund um das Handwerk des Geigenbauers finden Sie auf diesen Seiten:

  • Auf der Website des Bundesinstituts für Berufsbildung gibt es Informationen zur Geigenbauerausbildung.
  • Auf geigenbau.com hat Geigenbauer Christian Adam aus der Nähe von Hamburg umfassende Informationen und Tipps rund um die Geige zusammengestellt, von Erklärungen zum Geigenbauwerkzeug bis hin zur Instrumentenpflege.

Zum Instrument gehören auch die passenden Noten: In unserem Online-Shop finden Sie mehr als 25.000 Noten für Streicher in allen Stilrichtungen – sehen Sie sich um!

 


Bildernachweise:
Alle Fotos von Geigenbau Michael: © Jane Bähren; Aufbau Geige: © iStock/AndreyPopov (bearbeitet); Geigenbau-Arbeitsschritte: Bild 1: © iStock/Esperanza33; Bild 2: © iStock/MauroZanetti; © iStock/gergedan; Bild 3: © artgirl from Canada (a current restoration), Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0; Bild 4: © iStock/MauroZanetti; Bild 5: © iStock/Murat Ufuk GULER; Bild 6: © iStock/MauroZanetti; Bild 7: © iStock/Martin Wandel; Bild 7: © iStock/TheaDesign.